Mitnetz Gas überprüft zurzeit Leitungen ihres Netzes in rund 220 Orten. Wie das funktioniert und welche Schwachstellen es bei Kontrollen gibt.
Gernrode - Noch ein prüfender Blick auf den Lageplan, den er in seiner linken Hand hält. Dann startet Frank Weber seinen Kontrollgang auf dem Fußweg in der Straße Im Hagen in Gernrode. Mit der rechten Hand schiebt er ein an einen Teppichroller erinnerndes Gerät vor sich her. Das ist über einen Schlauch mit einem orangefarbenen Kasten einem Gasspürgerät verbunden, den sich Frank Weber umgehängt hat. Er stoppt kurz an einem Schacht, dann geht es auf der Wiese neben der Treppe hinauf, weiter über den Fußweg immer den unterirdisch verlegten Gasleitungen folgend, die auf dem Lageplan verzeichnet sind. Frank Weber ist Gasspürer und auf der Suche nach kleinsten Lecks in den Leitungen. Eine Arbeit, die lebensrettend sein kann.
Die Mitteldeutsche Netzgesellschaft Gas mbH kurz Mitnetz Gas ist derzeit dabei, die Betriebssicherheit von 2.787 Kilometern Gasleitungen in rund 220 Orten ihres Netzgebietes zu überprüfen, erklärt Cornelia Sommerfeld, Sprecherin des Unternehmens. Das hatte eigentlich schon im März beginnen sollen, musste aber verschoben werden. Denn die Gasnetzbegehungen, für die Mitnetz mit der Firma Vorwerk Pipeline und Anlagenservice GmbH zusammenarbeitet hier ist auch Frank Weber beschäftigt -, sind sehr witterungsabhängig. Sie seien bei Regen nicht möglich, wenn sich ein Wasserfilm auf dem Boden bilde, erst recht nicht bei Schnee oder Eis, sagt Guido Börs, der bei der Firma Vorwerk Pipeline und Anlagenservice für den Fachbereich Netztechnologie verantwortlich ist, und erklärt: Methan, ein Hauptbestandteil des Erdgases, sei leichter als Luft. Im Falle eines Lecks in einer Leitung steige es nach oben. Beim Begehen der Leitungstrassen werde über den Teller der Teppichsonde so heißt das Gerät, das Frank Weber über die Wege im Hagental schiebt ist die Luft an der Oberfläche eingesaugt und über Filter zum Messgerät geleitet. Das sei hochempfindlich, „erkenne" wenn sich unter einer Million Teile ein Methanteil befinde, erklärt Börs und zieht einen Mengen- Vergleich: Wenn in einem Wassercontainer mit Abmaßen von einem mal einem mal einem Meter ein Zuckerwürfel stecke, werde das erkannt.
In welchem Turnus die Dichtheit der Versorgungs und Anschlussleitungen einschließlich der Hauptabsperreinrichtungen geprüft werden soll, ob alle zwei, drei oder alle vier bis sechs Jahre dafür gibt es ein Regelwerk, in dem das festgeschrieben ist, sagt Stefan Fräßdorf, Fachkraft für Disposition und Realisierungssteuerung bei der Mitnetz. Dabei spielten beispielsweise das Baujahr der Leitung und das Material, aus dem diese besteht eine Rolle, erklärt Fräßdorf. Mitunter verliefen zu begehende Leitungen bis zum Hausanschlusseingang gekennzeichnet durch gelbe Plaketten auch auf den privaten Grundstücken. Auf diesen müssten die Gasspürer die sich natürlich auch ausweisen könnten Zutritt erhalten. „Darauf müssen wir auch wirklich pochen", sagt Stefan Fräßdorf. Denn im Falle eines Lecks in der Gasleitung sei nicht nur der Grundstückseigentümer selbst in Gefahr, sondern auch das Umfeld.
Auch im Gernröder Hagental führt eine Stichleitung über ein privates Grundstück. Frank Weber drückt auf den Klingelknopf neben dem Hoftor. Wie viele Kilometer er auf den Kontrolltouren pro Tag läuft? „Das ist unterschiedlich. Wenn man nur auf öffentlichen Wegen unterwegs ist, so sieben, acht Kilometer, wenn man bei Leuten klingeln und warten muss, vielleicht noch fünf." Er ist jetzt das vierte Jahr als Gasspürer unterwegs, „da hat jeder seinen Bereich". Er sei vorwiegend im Raum Leipzig und Halle im Einsatz, im Harz eher seltener, schildert Frank Weber, während er seine Kontrolltour auf dem Fußweg fortsetzt, am nächsten Grundstück rechtwinklig auf die kleine gelbe Markierung an der Hauswand zugeht und erneut stoppt. Hausanschlusseingänge wie Anschlüsse von Leitungen seien Schwachstellen, erklärt er. Verbindungen, die geschweißt, geklebt oder wie auch immer hergestellt worden seien, könnten am ehesten instabil sein.
Würde Methan aus einer undichten Stelle im Leitungsnetz nach oben steigen, mit der Teppichsonde angesaugt werden, würde das Messgerät akustisch Alarm schlagen und den gemessenen Wert im Display anzeigen. Der Gasspürer informiere dann sofort die Mitnetz, „und dann übernehmen wir", sagt Stefan Fräßdorf. „Wir schicken Kollegen, die vor Ort noch einmal nachprüfen und Maßnahmen einleiten." Im gesamten Netzgebiet seien Monteure tätig, so dass eine Erstsicherung innerhalb von 30 Minuten durchgeführt werden könne, sagt Cornelia Sommerfeld. „Im Jahresdurchschnitt schaffen wir das in elf Minuten", ergänzt Stefan Fräßdorf. Dafür werde mit Dienstleistern zusammengearbeitet, Firmen, die durch die Mitgas geschult worden seien. Im Hagental ergibt Frank Webers Kontrolle nichts Auffälliges. Er kann das Messgerät, dass vor Arbeitsbeginn und nach Arbeitsende mit einem Prüfgas auf seine Funktionsfähigkeit gecheckt wird, beruhigt einpacken.
Um Gasspürer zur werden, hat er eine spezielle Ausbildung nach den Richtlinien des Deutschen Vereins des Gas und Wasserfaches (DVGW) durchlaufen. Zunächst sei dafür ein zweitägiges Vorbereitungsseminar zu absolvieren, bei der die theoretischen Grundlagen vermittelt werden, so Weber. Das reicht vom Regelwerk zur Gasrohrnetzüberprüfung über die Klassifizierung von Leckstellen bis hin zur Dokumentation von Prüfungen. Später gibt es dann noch einmal zwei Tage Theorie mit einer abschließenden Prüfung.
Doch ehe eine Zulassung zu dieser Prüfung erfolgt, muss der künftige Gasspürer 200 Kilometer mit einem bereits aktiven Gasspürer mitgehen, ergänzt Guido Börs. Zudem müsse die Prüfung alle vier Jahre wiederholt werden. Die Arbeit sei sehr verantwortungsvoll, entscheidend für die Sicherheit. „Das sind schon ganz große Sorgfalt und Erfahrung wichtig", unterstreicht Guido Börs und fügt hinzu: „Gasspürer sind immer knapp."
(Mitteldeutsche Zeitung, 26. Juni 2021, Petra Korn)