Wiesmoorer Unternehmen Bohlen & Doyen reagiert mit Projekt auf unsichere Versorgungslage
Wiesmoor – Die unsichere und deutlich verteuerte Versorgung mit Erdgas treibt vielen Menschen und auch Unternehmern tiefe Sorgenfalten in die Stirn – ebenso wie die massiv gestiegenen Kosten für Strom. Aus diesem Grund, aber auch, weil die Verantwortlichen darin ein Geschäftsmodell für die Zukunft erkannt haben, wird auf dem Gelände von Bohlen & Doyen (Bo-Do) in Wiesmoor aktuell gebuddelt.
Das Unternehmen, das zur FRIEDRICH VORWERK Gruppe gehört, will seinen Energiebedarf künftig möglichst komplett selbst decken und das Gas zum Beheizen seiner Werkstatthallen und Bürogebäude selbst erzeugen – aus Leitungswasser.
Dafür wird in Kürze ein Elektrolyseur, also eine Anlage, die Wassermoleküle in Wasserstoff und Sauerstoff spaltet, in einem grünen Container errichtet. Den Strom, der im Betrieb benötigt wird, aber auch, um Wasserstoff zu gewinnen, sollen 1600 Solarmodule mit einer Höchstleistung von 600 Kilowatt liefern, die auf den Hallendächern in den vergangenen Wochen montiert worden sind. Dias frisch gewonnene Gas wird in einen unterirdischen Röhrenspeicher gedrückt und darin aufbewahrt, bis er gebraucht wird – 1,20 Meter im Durchmesser, 36 Meter lang. 1000 Kubikmeter Gas lassen sich verdichtet hineinpressen.
Hoffen auf Genehmigung für kleine Windturbine
In einem zweiten Container neben dem Elektrolyseur steht zudem ein Blockheizkraftwerk, das den Wasserstoff verbrennt und in Strom und Abwärme umsetzen soll. Mitarbeiter haben Erdhaufen aufgeworfen, Schächte ausgehoben und verlegen aktuell Rohre auf dem Grundstück. Rund 1,4 Millionen Euro investiert die VORWERK Gruppe dafür am BoDo-Stammsitz. „Wir wollen unseren Standort grüner machen, wollen da ein Zeichen setzen und uns unabhängiger machen. Zugleich können wir so unseren CO2-Ausstoß um etwa ein Drittel senken“, sagt VORWERK Chef Torben Kleinfeldt. Fördergeld habe man keins eingeworben.
Weil gerade im Winter, dann wenn insbesondere Wärme benötigt wird, die Sonne aber nur geringe Strahlkraft hat und weit weniger lang scheint, weil dadurch die Solarpaneele entsprechend weniger Strom erzeugen, möchten die Verantwortlichen die Anlage gern um ein kleines Windrad, keine 50 Meter hoch, mit 250 Kilowatt Leistung ergänzen. „Wir hoffen aus das Wohlwollen der Politik und der Behörden, dass wir das Windrad errichten dürfen, denn erst damit wird es uns das ganze Jahr über möglich sein, genügend Energie zu erzeugen, um den Betrieb zu versorgen und auch den benötigten Wasserstoff zu erzeugen.“ Aktuell benötigt der Wiesmoorer Standort rund 850 Megawattstunden Strom und knapp 1,4 Gigawattstunden an Erdgas pro Jahr. Während das Blockheizkraftwerk neben Wasserstoff auch andere Gemische nutzen kann, bleibt parallel ein Erdgasbrennkessel in Betrieb – weil auch das BHKW und der Elektrolyseur mal gewartet werden müssen und noch nicht gesichert ist, dass wirklich alles so reibungslos klappt wie geplant.
„Wir haben das Know-How“
Nun ist BoDo mit seinen rund 600 Mitarbeitern grundsätzlich nicht das Unternehmen, das am stärksten unter massiv gestiegenen Energiepreisen leidet. „Wir sind sehr lohnlastig, der Anteil von Strom und Gas an unseren Kosten liegt bei etwa fünf Prozent“, sagt Kleinfeldt. „Die deutlich höheren Dieselpreise treffen uns weit stärker.“ Doch dem Unternehmen, das selbst gerade als Pipeline-Bauer der LNG-Verbindung von den neuen Terminals in Wilhelmshaven zu den Kavernen in Etzel eingespannt ist, geht es um noch etwas anderes. Das Zeichen, das Kleinfeldts Unternehmen setzen will, soll sein, anderen Unternehmen mit energiehungrigen Produktionsstätten diese Lösung für ihre Energieversorgung aufzuzeigen – und dabei womöglich selbst ins Spiel zu kommen.
„Wir haben das Know-How im Betrieb, bauen die Anlage, die Rohrsysteme, den Speicher größtenteils selbst – und möchten daraus schon auch ein Produkt entwickeln, das wir auf dem Markt anbieten können.“ Neben dem Bau von Pipelines entwickelt und errichtet BoDo aktuell auch Speichersysteme, Verdichterstationen für den Gas-Transport und ist am Bau von Umspannwerken beteiligt. Die Elektrolyse-Anlage tauge vermutlich weniger für Kleinbetriebe, schon aber in größerem Maßstab für Energiefresser, wie Unternehmen aus der Stahl-, Futter- oder Zementindustrie. „Gerade da wird die Industrie umdenken müssen“, sagt Kleinfeldt.
Forscher begleiten das Projekt
Um den Klein-Elektrolyseur so effektiv wie möglich zu steuern und damit die Energieausbeute so groß wie möglich wird, haben siech die Wiesmoorer Unterstützung hinzugeholt: Der Wismarer Hersteller von Elektrolyseuren, Hoeller, will in der Anlage Belastungstests fahren. Auch Forscher vom Wilhelmshavener Campus Jade-Hochschule bringen sich ein. Dort ist eins von insgesamt fünf „Innovationslaboren“ eingerichtet worden, die das Land Niedersachsen seit Mai mit je 1,2 Millionen Euro fördert. Und die Wilhelmshavener befassen sich drei Jahre lang mit der Frage, wie Wasserstoff eingesetzt werden kann, um Motoren klimaneutral anzutreiben.
Prof. Dr. Karsten Oehlert, der Prodekan für Forschung und Technologietransfer am Fachbereich Ingenieurwissenschaften, teilt mit: „Wir freuen uns sehr, dass wir mit unserem Projekt einen Beitrag zur Energiewende mit besonderem Fokus auf unseren regionalen Ressourcen leisten können.“ Aktuell liegt der Wirkungsgrad von Elektrolyseur wie Blockheizkraftwerk bei je etwa 70 Prozent. „Wobei wir versuchen, auch die etwa 30 Prozent Abwärme bestmöglich zu nutzen“, sagt Kleinfeldt. Auch der Wasserbedarf sei gering: Weniger als einen Kubikmeter pro Tag werde die Anlage brauchen, sagt Kleinfeldt.
Die Forscher der Jade-Hochschule wollen durch Windstrom erzeugten Wasserstoff dafür nutzen, die Leistung von bestehenden Gas-und-Dampf-Kombikraftwerken zu steigern. Hierfür entwickeln die Wissenschaftler einen Wasserstoff-Sauerstoff-Brenner, der direkt in die Dampfturbine temporär zusätzliche Leistung und damit Strom erzeugt. Die Entwicklung des Brenners wird durch Simulationen geplant. Im hauseigenen Windkanal sollen die mathematischen Modelle geprüft werden. Als Teil einer Langzeitstudie sollen die Wissenschaftler mithelfen, die Effizienz der Pilotanlage in Wiesmoor zu steigern. Auf dass Bohlen & Doyen womöglich in der Folge mit wachsendem Erfolg mithelfen kann, die deutsche Industrie unabhängiger von Erdgas-Importen zu machen.
Von Ole Cordsen, Ostfriesen-Zeitung, 19.09.2022